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: Frankfurter Rundschau

Schloss-Sanierung am Wochenende:
Spaß statt Strafe für junge Knackies

WIESBADEN. Hammerschläge hallen monoton durch den Park Freudenberg. Eine dichte Staubwolke steht über dem Schloß. Von irgendwoher plärrt der US-Radiosender AFN auf UKW 98,7 die neuesten Hits. Eine Handkreissäge kreischt markerschütternd. Auf dem Dach des Schlosses stehen drei junge Männer, mit blauen Arbeitshosen und muskulösen nackten Oberkörpern. Bäche von Schweiß rinnen über ihre Rücken. Marcus, Christian und Matthias reparieren das marode Schlossdach. Zum Nulltarif für die Gesellschaft “Kunst und Natur”, der das imposante und marode Haus gehört. Aber für das Trio selbst ist es eine Selbstverständlichkeit, dass es keinen Pfennig für die schweißtreibende Sanierungsarbeit bekommt. Und das seit einem halben Jahr.

Marcus (21), Christian (22) und Matthias (22) sind Strafgefangene der Justizvollzugsanstalt (JVA) für jugendliche Straftäter in der Wiesbadener Holzstraße. Sie haben für ihre Delikte zwischen zweieinhalb und drei Jahre Knast abzusitzen. “Ich bereue, was ich getan habe”, sagt Marcus während er sich die Haare aus der Stirn streift. “Und mit der sozialen Arbeit, die ich hier fürs Gemeinwohl in meiner Freizeit verrichte, möchte ich meinen guten Willen zeigen und einiges wieder gutmachen.” 22 Monate seiner dreijährigen Haftstrafe hat er bereits abgesessen. Wegen guter Führung hat er Haftlockerung bekommen, darf also auch außerhalb der Gefängnismauern arbeiten. Und in einem Monat darf der Frankfurter mit der mächtigen Tätowierung zurück in die Freiheit, vorzeitig. Doch das will Marcus nicht. “Ich bleibe noch länger im Knast und beende meine Lehre als Elektroinstallateur.”

Die Lockerung der Haft - nach mindestens zwei Ausgängen und einem Urlaub, aus denen sie pünktlich in die Haftanstalt zurückgekehrt sind - ist Grundbedingung dafür, dass auch Christian und Matthias samstags und sonntags immer von 9 bis 17 Uhr helfen dürfen, das Schloß Freudenberg zu sanieren. Die Arbeit ist hart. Dach decken, Wände einreißen, Putz abschlagen, Fassade renovieren. Die Motivation für Christian: “Das ist ein Stück Täter-Opfer-Ausgleich.” Außerdem habe er Spaß an der Arbeit. “Ich arbeite hier freiwillig und breche mir dabei keinen ab”, sagt Matthias, der vom Dach des Schlosses auf seine alte Heimat, den Schelmengraben, schauen kann. Es sei eine neue Erfahrung und beschere ihm die Genugtuung, auf sich geladene Schuld abzuarbeiten. Keiner der drei jungen Männer hat das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Von den Bediensteten der JVA bekommen sie allerhand Lob und Anerkennung für ihr freiwilliges Schaffen, von den Familien ebenfalls. Und selbst die Mehrheit der Gefängnis-Insassen, sagen sie, würde gerne mit ihnen tauschen, “um mal vor die Tür zu kommen”. Nur wenige Gefangene zögen sie auf mit der Masche, sie seien bescheuert, umsonst zu arbeiten.

Marcus, Christian und Matthias freuen sich, dem öden Teufelskreis der Langeweile an Wochenenden im Knast entfliehen zu können. Die Tage hinter Gittern seien immer gleich, und am schlimmsten sei es an Samstagen und Sonntagen, erzählen sie. Rumsitzen. Fernsehen. Kartenspielen. Und sich von morgens bis abends zu Tode langweilen. Bei der Maloche im Schloss gehe die Zeit schneller rum, außerdem sei “das Essen besser”, flachst Matthias. “Abends bin ich kaputtgeschafft und falle todmüde um neun ins Bett.”

Doch nicht nur die Knackies, die mit dem Linienbus von der Holzstraße zum Freudenberg und zurück fahren, profitieren von der Arbeit. Auch die Gesellschaft Kunst und Natur. Im Klartext: Sie spart Geld. Doch das spielt der Vorsitzende Matthias Schenk herunter, “das interessiert erst in zweiter Linie”. Wichtiger sei der soziale Effekt, “dass sich Menschen am Bauwerk erbauen, dass viele Hände bei der Renovierung mithelfen”. Ein Fünftel der Sanierungskosten, sagt er, könne man dadurch sparen, dass “die Strafgefangenen mitarbeiten”. Das seien bei den geschätzten Sanierungskosten von drei Millionen Mark, die die Gesellschaft von der Denkmalpflege in vier Raten erhält, etwa 600000 Mark.

Sven Riemer, der mit den arbeitswilligen Knackies seit einem halben Jahr am Schloss arbeitet, wiegelt den finanziellen Aspekt und eine mögliche Ausbeutung ebenfalls ab. “Wir müssen ein Drittel an Eigenleistungen erbringen. Und da die Gesellschaft kein Kapital haben darf, haben wir uns überlegt, wie wir das bewerkstelligen können”. Und so sei man auf die Idee gekommen, Kontakte zur JVA aufzunehmen. Man ergänze sich gegenseitig, beide Seiten profitierten.

Während der Woche, und das seit neun Monaten, arbeiten auch bis zu zehn Asylbewerber an der Wiederherstellung des Schlosses. Sie erhalten für die staatlicherseits verordnete soziale Arbeit einen Stundenlohn von 2,50 Mark. Auch bei den Flüchtlingen, erzählt Riemer, “ist die Motivation hoch”. Viele begriffen diese Arbeit als Chance, sich beweisen zu können - als Trittbrett für den Einstieg in ein späteres Berufsleben auf deutschem Boden.

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Besonderes Angebot: Safer Sex mit Behinderten

Die Interessengemeinschaft für Behinderte (IFB) startet ein ganz besonderes Angebot. Körperbehinderte Menschen erhalten mit dem “Körper-Kontakt-Service” (KKS) die Chance, Sex zu erleben. Und zwar zusammen mit freiberuflich für die IFB arbeitenden Männern und Frauen, die dafür allerdings Geld bekommen.

“Auch Behinderte begehren sexuellen Körperkontakt”, sagt Wolfgang Groh, Geschäftsführer der IFB, die etwa 500 Behinderte in 20 Einrichtungen betreut. Doch körperliche Nähe und Sex sind rar, wenn man im Rollstuhl sitzt. Die Folge: Bei vielen körperlich behinderten Männern und Frauen stauen sich sexuelle Bedürfnisse auf, die sie nicht ausleben können. Manche sind wegen ihrer schweren körperlichen Behinderung nicht fähig, die akkumulierte Lust allein abzureagieren.

Sexueller Beistand und körperliche Nähe können Schwerst-Körperbehinderte jetzt von nicht behinderten Frauen und Männern bekommen. Sie sind zwischen Ende 20 und Mitte 50 und haben sich auf ein IFB-Tageszeitungsinserat beworben. Jeder Freiberufler im Team bietet jetzt “lustvolle Hilfe” an. Für 130 Mark die Dreiviertelstunde. Aufgabe ist, die Behinderten sexuell zu befriedigen. Aber es gibt keinen Zwang, mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben.

Wer den KKS, der als Betreuungsangebot verstanden wird, in Anspruch nehmen darf, entscheidet allein KKS-Leiterin Gudrun Greb. “Wir vermitteln unsere Mitarbeiter nur an Menschen, bei denen die körperliche Behinderung entscheidend dafür ist, dass sie keine Sexualität leben können.” Zum Beispiel schwer MS-Kranke und Menschen, denen beide Arme fehlen. Oder Männer und Frauen, deren Körper bis zum Kopf gelähmt ist und die nicht onanieren können.

Der KKS ist umstritten. Der Wiesbadener Rollstuhlfahrer Josef Pretnar sagt: “Ich glaube für behinderte Menschen ist diese Situation ganz schwer und für die Dienstleister ebenfalls.” Beide Seiten stünden unter dem Druck, definieren zu müssen, “wie weit man gehen kann und will, und was man dabei empfindet”. Er könne sich einen KKS besser als zwanglosen Treff vorstellen. Und wenn sich Beziehungen ergeben, “wäre das toll”. Doch gibt's auch positive Stimmen. “Der Bedarf für sowas ist da”, urteilt Matthias Rösch, Rollstuhlfahrer und Mitbegründer des “Mainzer Zentrums für Selbstbestimmtes Leben”, das behinderte Menschen in Alltags- und Arbeitsfragen berät. Er begrüßt, dass jemand den Mut aufbringt, “etwas Neues auszuprobieren und Erfahrungen damit zu sammeln”.

Der KKS steckt noch in den Kinderschuhen. Doch wenn die Mitarbeiter geschult sind, wird die IFB kräftig die Werbetrommel rühren und Info-Blätter in den Behinderteneinrichtungen im Rhein-Main-Gebiet verteilen. “Die Behinderten haben sich früher oft Prostituierte aufs Zimmer bestellt”, berichtet Groh. Häufig hätten sie 200 bis 300 Mark für den schnellen Orgasmus bezahlt. Das sei Ausbeutung. Und ämenschenunwürdig ist's außerdem”, sagt Gudrun Greb. Menschen ohne Behinderung könnten sich das Umfeld, aus dem auch sexuelle Bekanntschaften entstünden, selbst wählen. “Diese Freiheit haben stark Körperbehinderte nicht”, sagt Greb. Sie seien, wollten sie Sex, allein aufs Rotlichtmilieu angewiesen.

Bei der Zärtlichkeit auf Bestellung geht es nicht “darum, Spaß zu haben”, sagt Gudrun Greb, “sondern um Sinnlichkeit, Körpergefühl und liebevolle Erotik”. Die entspannende Wirkung gelebter Sexualität auf Körper und Seele bleibe körperbehinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung vielfach verwehrt. Das frustrierende Gefühl unbefriedigter Lust, “das völlige Fehlen erotischer, zärtlicher Kontakte kann nur unzureichend kompensiert werden”, erzählt Greb.

Sie sieht bei dem betroffenen Klientel “eine medizinische Indikation für Sex auf Krankenschein”. Wenn die sexuellen Triebe der Körperbehinderten zu lange aufgestaut würden, erwüchsen daraus “psychsomatische Beschwerden, seelische Unausgeglichenheit und mitunter Apathie oder Alkoholmissbrauch”, so ihre These. Und weil der KKS Geld kostet, ist sie bestrebt, die Kosten für Inanspruchnahme, Schulung und Verwaltung mittelfristig auf die Schultern von Krankenkassen, Landeswohlfahrtsverband, Sozialämter oder Land Hessen zu verteilen.

Die Motivation der freiberuflichen Mitarbeiter, Sex mit Behinderten zu haben, sind unterschiedlich. “Einige”, sagt Greb, “kommen aus dem sozialen Bereich. Sie kennen die Probleme von Behinderten”. Bei anderen, räumt sie ein, gehe es auch um die Möglichkeit, nebenbei ein paar Mark zu verdienen. Die jetzigen Mitarbeiter wurden in langen persönlichen Gesprächen gemeinsam von IFB-Geschäftsführer Groh und Gudrun Greb ausgewählt.

Die Grenzen der Dreiviertelstunde sind klar. Safer Sex steht an oberster Stelle. Zum Geschlechtsakt kommt's nur dann, wenn beide Seiten das wollen. Beziehungen und Kontakte außerhalb der bezahlten 45 Minuten sind tabu, denn es “ist ein Job und keine Partnervermittlung” (Greb). Dem Behinderten soll bewusst sein, dass es sich um ein Betreuungsangebot handelt, für das er bezahlt - das soll auch verhindern, dass die Behinderten sich in die Körper-Kontakt-Service-Mitarbeiter verlieben.